Brötchen schmieren im Akkord
„Oh, das ist heute ja mal was anderes!“ Die junge Frau, die gerade über den Flur von der Blutspende kommt und um die Ecke in den Essenraum der Grundschule „Ostseeblick“ in Sassnitz biegt, stoppt einen Moment und staunt.

Die Tische sind gedeckt und vorweihnachtlich geschmückt. An der Wand ist ein üppiges Buffet aufgebaut: eine große Obstschale, Brötchen mit Käse, Schinken, Lachs oder Bratklops, niedliche Häppchen aus Pumpernickel, Bockwurst, Gulasch, Eiersalat und vieles mehr. Hergerichtet haben es drei Frauen: Hildegard Hacker, Gunhild Jatho und Edeltraud Szelinski. Sie arbeiten im Sagarder Ortsverein des Deutschen Roten Kreuzes zusammen. Dort kümmern sie und die anderen Mitglieder sich seit Jahren ehrenamtlich um das leibliche Wohl derer, die Blut gespendet haben. Viele kommen auch deshalb immer wieder, weil man sich nach der Spende so liebevoll um sie kümmert. Das wird ab sofort auch in Sassnitz so sein. Der Ortsverein aus dem benachbarten Jasmunder Dorf hat Ende Dezember erstmals die kulinarische Versorgung der Spenden-Teilnehmer übernommen. Die Sagarder Blutspender-Versorgung ist zum „Exportschlager“ geworden.
Belastung für hauptamtliche Mitarbeiter zu groß
Früher hatten die Sassnitzer Kollegen das selbst sicherstellen können. „Aber der Ortsverein hat sich leider aufgelöst“, sagt André Waßnick, kaufmännischer Vorstand beim Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes. „Es steht und fällt eben alles mit den ehrenamtlichen Leuten.“ Wenn die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr aktiv sein können, wie im Falle des Sassnitzer Ortsvereins, wird es eng. Eine ganze Zeit lang haben die Mitarbeiterinnen der DRK-Sozialstation diese Aufgabe zusätzlich erledigt. „Aber dort ist die Belastung durch die hauptamtliche Arbeit schon hoch genug.“ Deshalb hatte der Kreisverband seine Sagarder Mitglieder gefragt, ob sie sich auch ein Engagement in Sassnitz vorstellen könnten. Und sie willigten ein – unter der Maßgabe, freie Hand bei der Gestaltung der Spenderversorgung zu haben. „Das soll hier unsere Handschrift tragen.“ Das bedeutet auch: Keine Imbissbeutel mehr, sondern essen und trinken in gemütlicher Runde oder wahlweise auch allein.
Am Vormittag haben sie alles frisch eingekauft, am Nachmittag alles in den Essenraum der Sassnitzer Grundschule gebracht. Nach der Schlepperei gucken sich die drei Frauen erst mal in der Küche um: Wo sind die Steckdosen? Wo soll die Kaffeemaschine stehen? Wohin mit dem Wasserkocher für die Teetrinker? „Wir kennen die Räume ja nicht“, sagt die Sagarder Ortsvereinsvorsitzende Hildegard Hacker. Einmal hatten sie sich zuvor umgesehen, um die Anordnung der Tische zu planen und zu gucken, was sie noch alles mitzubringen hätten. Das reicht vom Eierschneider bis hin zum Salzstreuer, und auch die Löffel für den Gulasch finden sich nach langer Suche in einem der vielen Körbe rechtzeitig an, bevor die ersten Blutspender sich an die geschmückte Tafel setzen.
Mit Essen und Trinken den Kreislauf in Schwung bringen
„Schmeckt prima!“, ruft Gerhard Jezierski den Sagarder Frauen durch die Luke der Essenausgabe zu. Der Sassnitzer kann das einschätzen. Er ist „Dauerblutspender“, wie er lachend sagt. Sich anzapfen zu lassen, macht ihm körperlich genauso wenig aus wie seinen Tischnachbarn Gunnar Feldmann und Heinrich Dachner. Letzterer hat an seinem 18. Geburtstag im Jahre 1965 zum ersten Mal Blut gespendet und ist seitdem regelmäßig dabei. Damals gab es pro Spende noch 48 Mark. Heute tut er es vor allem wegen der Überzeugung, dass er selbst ja auch mal auf eine Bluttransfusion angewiesen sein könnte. „Die Spende dauert zehn Minuten und man merkt hinterher nichts“, sagt er. Sie kämen nicht wegen des Essens, versichern die Männer. „Flüssigkeit zu sich zu nehmen, ist laut Aussagen der Mediziner nach einer solchen Spende ja auch viel wichtiger.“ Und doch lässt sich fast keiner das Angebot entgehen, noch einen Happen zu sich zu nehmen. Der Arzt Werner Giesel betreut die Blutspender an diesem Tag medizinisch. „Kaffee und andere Getränke sowie das Essen sind wichtig, um anschließend den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen“, sagt er. Sein Rat: Schon vor der Spende eine Kleinigkeit essen. Daran würden viele nicht denken. „Die kommen direkt von der Arbeit hierher und spenden Blut.“
49 Frauen und Männer waren es beim letzten Blutspendetermin dieses Jahres in Sassnitz. Satt geworden sind sie alle. Wie beim „Heimspiel“ in Sagard waren auch in Sassnitz die Eier- und die Lachsbrötchen der Renner. Im Sommer, erzählen die DRK-Frauen, hatten sie auch schon mal Hot Dogs im Angebot. „Die waren im Nu weg“, erinnern sie sich und ihre Augen strahlen dabei. Gereicht hat es aber immer. „Einmal sind uns in Sagard die Brötchen ausgegangen. Da gab es so einen Ansturm, da mussten wir schnell neue kaufen und schmieren.“ 100 der ovalen Backwaren haben sie diesmal geordert. Das reicht locker, winken sie entspannt ab. Weggeschmissen wird nichts. „Das kann unsere Generation einfach nicht“, sagt Hildegard Hacker. Was übrig bleibt, essen die Frauen des Ortsvereins entweder selbst, wenn es schnell verderblich ist. Haltbares oder eingeschweißtes Essen kommt in den Kühlschrank.
Am liebsten aber ist es den Frauen, wenn die Spender möglichst kräftig zulangen. Immer wieder wird auf dem Buffet nachgelegt. „Schüchtern braucht hier niemand zu sein“, sagt Hildegard Hacker und wendet sich einem Blutspender zu, der satt und zufrieden den Essenraum verlässt: „Na, noch `ne Banane mit auf den Weg?“
Bild und Text: Ostsee-Zeitung / Maik Trettin